© 1924 Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

FW Murnau: Der Letzte Mann (D 1924) - UA

Samstag, 4. November 2023, 18.00 Uhr
Stuttgarter Philharmoniker - Liederhalle, Stuttgart 

DER LETZTE MANN kommt fast vollständig ohne Zwischentitel aus und ist damit der erste Stummfilm, bei dem dies erfolgreich umgesetzt wurde. Das liegt zum einen an der beeindruckenden Leistung von Emil Jannings, zum anderen aber auch an der technischen Virtuosität des Films: Die Kamera von Karl Freund bewegt sich „entfesselt“ durch die Räume und visualisiert, auch durch die Verbindung von Traumsequenzen, Überblendungen und Spezialeffekten, das Seelenleben ihres Protagonisten. Eine so starke Subjektivierung des Kamerablicks hatte es bis dato im deutschen Stummfilm noch nicht gegeben.

Giuseppe Becces Musik zählt zu den wenigen erhalten gebliebenen Filmmusiken der Stummfilmzeit. Überliefert ist sie als Klavierdirektion und Violinstimme. Durchgehend ausnotiert sind die Akte 2, 4 und 5, in Akt 1 und 3 befinden sich neben ausgeschriebenen Passagen Verweise auf Stücke anderer Komponisten, für Akt 6 empfiehlt Becce lediglich fünf Shimmies.

Interessant sind die von Becce ausgeschriebenen Passagen; wie Detlev Glanert schreibt, ”...hat sich Becce um eine durchgehende Komposition bemüht, was für uns die eigentliche Wiederentdeckung ist; der 2. bis 5. Akt sind bis auf 5 Minuten durchkomponiert, mit ganz bewusst gesetzten Leitthemen, Leitmotiven und Leitklängen. Vor allem der 2., 4. und 5. Akt weisen Motive und Melodieteile mit großer Potenz auf, die entweder einer weiteren musikalischen Entwicklung zu harren scheinen, oder aber wie ein Kommentar zu etwas vorher noch nicht Ausgeführtem klingen. Die Prägnanz dieser Passagen ist überraschend, in seinen besten Momenten erreicht Becce eine dem Film völlig gleichgestellte Anschmiegsamkeit der Musik, die ungezwungen und intelligent mit ihren Motiven und Einsprengseln die visuellen Ereignisse umkreist.” Was in der neu entstandenen Pasticcio-Komposition transparent bleibt, ist die Becce-typische Kompilationstechnik, indem Detlev Glanert mit den vorhandenen Zitaten (z.B. dem Hochzeitsmarsch) spielt. Ausgehend von diesem Vorrat an Themen und funktionalen Verbindungen hat Detlev Glanert eine Bearbeitung vorgenommen, mit der er - nach fast 80 Jahren - das umzusetzen und zu vollenden versucht, was Becce als individuelle, expressive Begleitmusik zu diesem Klassiker des deutschen Stummfilms vorschwebte.