La Roue (Das Rad)

Das visionäre Meisterwerk von Abel Gance wieder zurück auf der FilmKonzertbühne

"Es gibt das Kino vor und nach ,La Roue'
so, wie es die Malerei vor und nach Picasso gibt.“
(Jean Cocteau)

Im Rahmen des Musikfest Berlin 2019 feierte der französische Stummfilm LA ROUE in neu restaurierter Fassung seine Weltpremiere. Damit wurde nicht nur ein cineastisches Meisterwerk von Abel Gance (1889 – 1981) geboten, sondern auch eine der aufregendsten Wiederentdeckungen historischer Filmmusik. Es handelt sich um die Premierenmusik, die Arthur Honegger zusammen mit Paul Fosse für die Uraufführung des Films im Pariser Gaumont Palace (Februar 1923) zusammengestellt hat und die seit der Stummfilmzeit nicht mehr zu hören war. Die neue Fassung wurde von der Fondation Jérôme Seydoux-Pathé produziert, die den Film in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque française und Cinémathèque suisse auf Grundlage des Originalnegativs und des Drehbuchs von Abel Gance restaurierte. Die Arbeiten fanden im Kopierwerk von L’Immagine Ritrovata in Bologna unter der Leitung von François Ede statt. Die Musikrekonstruktion leitete der Mainzer Komponist Bernd Thewes. Sein Ausgangsmaterial war eine vierseitige handgeschriebene Liste von über 100 Musiktiteln, die Paul Fosse mit Arthur Honegger aus Werken seiner Zeit kompilierte: eine hochkarätige Auswahl sinfonischer Musik von 56 vorwiegend französischen Komponisten des Impressionismus und Symbolismus.



Der verwitwete Bahningenieur Sisif rettet bei einem Zugunglück ein kleines Mädchen, das er als Tochter bei sich aufnimmt. Als sie erwachsen ist, verliebt er sich in sie. Auch sein Sohn empfindet mehr als geschwisterliche Liebe für sie.

Mit LA ROUE schuf der Kino-Visionär Abel Gance eine große Familiensaga, die Motive des antiken Ödipus- und Sisyphos-Stoffes verarbeitet und als moderne Tragödie mit den Stilmitteln des Kinos erzählt. Eingegangen in die Filmgeschichte ist LA ROUE wegen seiner spektakulären Eisenbahn-aufnahmen und Bildmontagen, die die gesamte Filmavantgarde der Stummfilmzeit inspirierten. Der vierteilige Film mit einer ursprünglichen Gesamtlänge von 8,5 Stunden wurde nach seiner Premiere im Gaumont-Palace als Serial im Wochenrhythmus aufgeführt und sukzessive für den Filmmarkt gekürzt, viel Material ging verloren. Der Film wird seit 3 Jahren im Auftrag der Fondation Seydoux-Pathé in der Pariser Filiale von ‚Immagine Ritrovata, Bologna in Zusammenarbeit mit diversen Archiven restauriert.

Die historische Premierenmusik von LA ROUE besteht aus 117 Musikstücken, davon 6 Original-kompositionen von Arthur Honegger. Für die Kinomusik nutzen Honegger und Paul Fosse (Dirigent und Kapellmeister des Gaumont Palace) zwar existierende Musiken, verfeinern ihre Musikauswahl aber nach wohl überlegten künstlerischen Kriterien. Wie die Forschungen des Musikwissenschaftlers Jürg Stenzl bestätigen, verwirft Arthur Honegger das im Stummfilmkino geläufige Prinzip der Adaption populärer klassischer Meisterwerke. „Er fordert, auch wenn es um präexistente Musik geht, anspruchsvolle, möglichst rezente Musik. Das hat zur Folge, dass Werke der französischen Moderne – Florent Schmitt, Guy Ropartz, Albéric Magnard, Paul Dukas, Albert Roussel und späte Kompositionen von Debussy, sowie die „Cinéma-Fantasie“ von Darius Milhaud von 1919 Aufnahme fanden. Von den 56 Komponisten, von denen Musik verwendet wurde, lebten 1922 noch zwei Drittel.“

La Roue / Das Rad

Orchestermusik für den Stummfilm "La Roue" von Abel Gance (1923)

Musikalische Adaptation von Paul Fosse und Arthur Honegger (1923)
Rekonstruktion von Bernd Thewes (2017-2019)

Besetzung:

3 Flöten (1. und 2. auch Piccolo).3 Oboe (3. auch Englisch Horn).3 Klarinetten in B (3. auch Bassklarinette).3 Fagott (3. auch Kontrafagott)

4 Horn. 3 Trompete (1. auch Flügelhorn). 3 Posaune. 1 Tuba

1 Pauke.3 Schlagzeug: Triangel, Tamburin, Guiro, Glockenspiel, Snare Drum, Gran Cassa, Röhrenglocken.1 Harfe

Streicher (10.8.6.5.4)

Bernd Thewes (*1957) studierte Schulmusik in Saarbrücken und Musikwissenschaften in Mainz. Sein Oeuvre umfasst Kompositionen für Solo- und Orchesterbesetzungen, radiophone Projekte, Oper, Klanginstallation und Filmmusik. Er arbeitet mit führenden Solisten der Neuen Musik wie Dirk Rothbrust, Dietmar Wiesner oder Irmela Roelcke, Für das ARTE-Stummfilmprogramm realisierte er mehrere Neukompositionen (für Filme von Hans Richter und Carl Th. Dreyer) sowie Bearbeitungen historischer Filmmusiken, die international einen neuen Maßstab in der Instrumentierung und Bearbeitung historischer Originalmusiken gesetzt haben: Der Rosenkavalier von Richard Strauss (1926), Sprengbagger 1010 (1929) von dem Schönberg-Schüler Walter Gronostay, Berlin, die Sinfonie der Großstadt (1927) und Oktober (1928) von Edmund Meisel sowie Der Student von Prag (1913) von Josef Weiss. Mit der Rekonstruktion der Premierenmusik des Abel Gance-Films La Roue (F 1923) hat Bernd Thewes die längste Filmmusik der Stummfilmgeschichte rekonstruiert: 7 Stunden Musik, die in einer deutsch-französischen Doppelpremiere in Berlin und Lyon 2019 international beachtete Resonanz erfuhr.

François Ede ist Regisseur, Dokumentarfilmer, Kameramann und auch als Schauspieler und Drehbuchautor tätig.
Als Mitglied des Conservatoire des techniques cinématographiques und der französischen Filmbibliothek ist François Ede einer der Profis, die das Kino in seiner reinsten Form lieben. Er war erster Kameramann bei vier Spielfilmen von Raoul Ruiz, mit dem er das Drehbuch zu Les Trois couronnes du matelot schrieb. Er hat mehrere Dokumentarfilme über aktuelle Ereignisse und über die Werke von Filmkünstlern gedreht: Charlie Chaplin, Jacques Tati, Henri Cartier-Bresson und Willie Ronis. Er hat auch zwei Bücher über Jacques Tati bei Éditions Cahiers du Cinéma veröffentlicht.
François Ede Parallel zu seiner Arbeit trägt er zur Erhaltung des Filmerbes bei und unterstützt dessen Entwicklung, indem er sich um die Restaurierung von Filmen kümmert, die er auf freiberuflicher Basis bearbeitet: Jour de fête und Playtime von Jacques Tati, Yoyo von Pierre Etaix und Lola Montès von René Clément, der kürzlich bei den Filmfestspielen von Cannes in der Sektion Cannes Classics gezeigt wurde.

(Quellen: cinechronicle.com; BNF)

Abel Gance (1889 - 1981) gehört zu den großen Pionieren des Films, der vor allem für seinen 1927 erstmals gezeigten monumentalen Napoleon-Film bekannt ist, einem Meilenstein der Filmgeschichte, in dem der Regisseur mit neuartigen Schnitttechniken und Kameraführungen sowie der parallelen Wiedergabe mehrerer Handlungsstränge auf drei Leinwänden experimentierte.

Abel Gance stammt aus Paris. Auf dem Umweg über die Theaterbühne kam er 1912 mit der aufstrebenden französischen Filmbranche in Kontakt. Bald begann er, eigene Filme zu drehen, in denen er oft gleichzeitig für Drehbuch, Schnitt und Regie verantwortlich war und auch als Schauspieler mitwirkte. Im Ersten Weltkrieg war Gance kurzzeitig an der Front eingesetzt, 1915 wurde er aber aus gesundheitlichen Gründen wieder aus dem Militärdienst entlassen. In den nächsten Jahren entstanden in dichter Folge etwa 20 Filme. Nach einem ersten größeren Erfolg mit dem Melodram „Mater dolorosa“ aus dem 1917 brachte ihm 1919 der pazifistische Film „J’accuse“ den internationalen Durchbruch.

Mitte der 1920er Jahre begann Gance mit der Arbeit an einem Napoleon-Projekt. Zunächst als Folge von sechs Filmen geplant, konnte Gance nur den ersten Teil fertigstellen, der mit einer Spieldauer von ursprünglich sechs Stunden aber auch schon für sich herkömmliche Dimensionen sprengte. Die Aufnahme beim Publikum war geteilt und als 1931 sein erster Tonfilm „La fin du monde“, ein aufwändig produzierter und entsprechend teurer Science fiction, an den Kinokassen durchfiel, war seine Karriere ernsthaft beschädigt. Zwar konnte Gance noch eine Reihe weiterer, teils durchaus erfolgreicher Filme drehen, bei denen er aber künstlerisch weit weniger selbstständig war, sondern an die Vorgaben der Studios gebunden blieb. Nach 1945 konnte Gance nur noch wenige Projekte realisieren und arbeitete immer wieder an Neufassungen seines Napoleon-Filmes. Abel Gance starb am 10. November 1981 in Paris.


Credits

  • Regie, Drehbuch:
    Abel Gance
  • Kamera:
    Gaston Brun, Marc Bujard, Léonce-Henri Burel, Maurice Duverger
  • Musik:
    Arthur Honegger, Paul Fosse (Kompilation)
  • Produzent:
    Sophie Seydoux, Fondation Jérôme Seydoux-Pathé
  • Filmrekonstruktion:
    François Ede
  • Filmrestaurierung:
    L‘ Immagine Ritrovata, Bologna
  • Musikrecherche:
    Max James, Prof. Jürg Stenzl
  • Musikrekonstruktion:
    Bernd Thewes (i.A. von ZDF in Zusammenarbeit mit Arte)
  • Redaktion:
    Nina Goslar (ZDF/Arte), Stefan Lang (Deutschlandradio Kultur)
  • Musikproduktion:
    Thomas Schmölz, 2eleven music film

Musikproduktion mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin im RBB

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